Warum sind wir für Studienplatzfinanzierung aber gegen Zugangsbeschränkung?

1) Warum für Studienplatzfinanzierung?

Das Thema Studienplatzfinanzierung wird derzeit im Uni-Umfeld heiß diskutiert. Nun wollen wir – das sind der Rote Vektor Physik und die IG Chemie – Stellung dazu nehmen. Eine Studienplatzfinanzierung hört sich ja erstmal sehr gut an. Ein Studium beginnen und wissen, dass man in allen Übungen, Prüfungen und Laboren einen gesichterten Platz hat. Vor allem für uns an den naturwissenschaftlichen Fakultäten hört sich das sehr verlockend an. Denn unter einigen von uns herrscht bereits die Angst und leider auch oft die traurige Realität, dass es nicht mehr genug Plätze für alle gibt – und so verzögert sich das Studium ohne eigenes Verschulden. Eine Studienplatzfinanzierung ist da eigentlich längst überfällig und so nimmt man diesen vermeintlichen Geldsegen dankend an. Dieser kommt jedoch nicht ohne Haken: Bedingung für die Studienplatzfinanzierung sind nach Vorstellung des Wissenschafts- und Wirtschaftsministeriums nämlich Zugangsbeschränkungen. [1]

2) Warum gegen Zugangsbeschränkungen?

Genau diese Zugangsbeschränkungen sind es auch, an denen wir uns stören. Wir sind uns natürlich im Klaren darüber, dass die Studienplatzfinanzierung für eine unbegrenzte Anzahl an Studierenden eine unrealistische Forderung ist. Deshalb haben wir uns an weiter unten stehender Stelle Gedanken zu möglichen (und teilweise längst überfälligen) Lösungen gemacht. Hier wollen wir nur noch einmal betonen, dass Zugangsbeschränkungen ein Aus für den offenen Hochschulzugang bedeuten. Nicht nur das – in vielen Bereichen sind sie geradezu absurd, wenn man die Werbekampagnen für die Chemie oder die Rufe am Arbeitsmarkt nach zum Beispiel Informatikabsolvent*innen und MINT-Lehramtsabsolvent*innen betrachtet.

Außerdem stellt sich die Frage: Wozu brauchen wir zusätzlich zur Matura noch einen Aufnahmetest? Und warum sollen notwendige Kompetenzen, die man sich in einem Studium aneignen soll, schon vorher Entscheidungskriterien zur Aufnahme sein? Und wenn dies nicht der Fall ist, wofür dann wirklich eine Matura als Aufnahmekriterium? Und warum treten wir eigentlich das Menschenrecht auf Bildung mit Füßen?

 

Falls ihr noch nicht vom offenen Hochschulzugang überzeugt seid, dann können wir den Post vom Roten Vektor Mathe stark empfehlen. Sie haben ein paar sehr gute Argumente gegen die Standard-Statements:

Liebe alle, die letzten Tage ging es ja in den sozialen Netzwerken aufgrund der Einführung von Zugangsbeschränkungen…

Posted by Roter Vektor Mathe on Freitag, 24. Februar 2017

 

Post-Link:

3) Lösungen

Studierende in ganz Österreich forderten schon  vor, während und nach den unibrennt-Protesten im Wintersemester 2009/2010 [1]  2% des BIP für den tertiären Bildungssektor. 

Am 09.07.2009 wurde zwar im Parlament beschlossen, dass dem tertiären Bildungssektor 2% des BIPs zugesprochen werden [2], jedoch ist hier noch immer nichts passiert. Momentan liegen wir laut OECD bei 1,7% [3] – und das rund 8 Jahre nach diesem Beschluss im Parlament. Diese Finanzierung muss endlich kommen, vorallem weil die Studierendenzahlen in den letzten Jahren noch deutlich zugenommen haben [4].

Eine Lösung wäre eine echte (!) Studieneingangs- und Orientierungsphase, wie sie bereits von der ÖH [5] gefordert und im Parlament vorgeschlagen [6] wurde. Dabei handelt es sich um “eine Eingangsphase zur Orientierung statt eines Tests zur Beschränkung”. Das Prinzip könnte in einer Art “einjährigem Vorstudium” umgesetzt werden: In diesem Vorstudium schnuppern Studierende in unterschiedliche Studienrichtungen, indem sie Lehrveranstaltungen aus den ersten zwei Semestern verschiedener Studienrichtungen absolvieren. Im Zuge des Vorstudiums können Studierenden auch Themen vermittelt werden, die ohnehin in vielen Studien unterrichtet werden, wie zum Beispiel Wissenschaftstheorie oder eine Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten. Die einjährige Orientierungsphase wird nicht in die Mindeststudiendauer miteinberechnet. Studierende, die sich ihrer Studienwahl schon sicher sind, können alle Veranstaltungen ihrer gewählten Studienrichtung belegen und demnach auch alles anrechnen lassen.
So können sich die Studierenden viel sicherer sein, was sie danach langfristig studieren wollen.
Damit wird die Anzahl der Studienabbrecher*innen und Studienwechsler*innen stark reduziert (zum Beispiel beim Chemie-Studium die Medizin-, Pharmazie-, Ernährungswissenschaften und Biologie-Nichtaufgenommenen).


 Eine weitere, unserer Meinung nach sehr effektive und überfällige Lösung, ist die rechtzeitige Aufklärungsarbeit in Schulen. Viele Studienanfänger*innen entscheiden sich nicht rational für ein Studium. Welche Stadt gefällt mir am besten? Was machen meine Eltern, meine Geschwister…? Welches war mein Lieblingsfach in der Schule? Die Folgen davon sind Studienwechsler*innen und frustrierte Menschen, die nicht wissen, was sie machen sollen.

Dem könnte durch ein verpflichtendens Beratungsgespräch von gut informierten Berater*innen für alle Schüler*innen in allen Schulen mit Matura in Österreich entgegengewirkt werden. Hier sollen sich die Berater*innen für  jede*n einzelne*n Schüler*in Zeit nehmen und ihnen passende Studien vorschlagen bzw. näherbringen. Rechnet beispielsweise eine Schülerin gerne, dann ist das Mathematik-Studium nicht zwingend die richtige Wahl – je nach Begabung in anderen Fächern (zum Beispiel Physik, Elektrotechnik, …) sollte dann auch ein solches Studium vorgestellt werden.

Ebenfalls wichtig in diesem Zusammenhang ist die Aufwertung der Lehre. Im Februar letzten Jahres wurde ein Anfang gemacht: Durch den nationalen Qualifikationsrahmen soll der Meister-Abschluss einer Lehre auf der selben Qualifikationsstufe liegen wie ein Bachelorabschluss eines Uni-Studiums [7]. Als weiterer Schritt wäre auch hier eine ausreichende Aufklärung in der Unterstufe notwendig. Eine Entscheidung über Lehre oder Oberstufe soll nicht endgültig sein. Während oder nach der Lehre kann die Matura gemacht werden, nach der Matura ist eine Lehre möglich. Die Wahl muss auch später noch getroffen werden können.

[1]
http://unibrennt.at/ueber-unibrennt/
[2]
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/E/E_00043/index.shtml
[3] http://www.oecd-ilibrary.org/education/bildung-auf-einen-blick-2016_9789264264212-de S. 256 ff.
[4] https://oravm13.noc-science.at/apex/f?p=103:6:::NO::P6_OPEN:N
[5] https://www.oeh.ac.at/downloads/forum-hochschule
[6] https://www.gruene.at/themen/bildung-wissenschaft/darum-brauchen-wir-eine-studieneingangsphase
[7] http://derstandard.at/2000031698820/Wirtschaftskammer-begruesst-Gesetz-zur-Enstufung-vonMeister-und-Co

 

4) Die Zukunft liegt in der Bildung!

Zum jetzigen Zeitpunkt fällt es schwer, eine Kompromisslösung zu finden. Natürlich ist eine Ausfinanzierung der Unis längst überfällig und klar ist uns auch, dass Zugangsbeschränkungen keine Lösung sein können. Als Beispiel kann man jene Menschen heranziehen, deren Traum es ist, Medizin zu studieren. Aussortiert vom Aufnahmetest findet man sie oft in anderen Studiengängen “zur Überbrückung” bis zum nächsten Test. Was hat dieser Test nun darüber ausgesagt, ob sie geeignet sind, Medizin zu studieren? Denn sollten sie beim zweiten Versuch bestehen, sind sie nicht mehr oder weniger geeignet, sondern befinden sich lediglich unter dem vermeintlich geeignetsten Anteil der Anwärter*innen. Diese bestehen nämlich meist aus denen, die sich in sehr kostspieligen Kursen auf den Test vorbereiten. Jene, denen das nötige Geld für solche Kurse fehlt, haben dadurch viel geringere Chancen. [1]
Sollten sie nicht bestehen, verbringen die meisten mindestens ein Jahr in einem “Ausweichfach”, worin sie gar nicht so richtig aufgehen können. Zusätzlich kommt der Ärger der Studierenden im “Ausweichfach”, denen so in deren Wunschstudium (Praktikums-)Plätze “weggenommen” werden, dazu.
Hinzu kommt, dass beschränkte Studiengänge sicher nicht der in Österreich vorherrschender niedriger Akademiker*innenquote [2] entgegenwirkt, im Speziellen gilt das natürlich auch für den Ärzt*innenmangel [3] und den Lehrer*innenmangel [4]
Schuld an all dem ist am Ende ein Test, welcher darüber bestimmen will, wer sich welches Wissen und welche Kompetenzen aneignen darf. Natürlich geht Qualität vor Quantität, allerdings schreit hier alles nach einer Steigerung der Quantität. Um qualitativ auf dem zumindest gleichen Level zu bleiben, müssen natürlich auch entsprechende (finanzielle) Maßnahmen getroffen werden – womit wir wieder auf die Ausfinanzierung der Hochschulen zurückkkommen.


Es sollte allen klar sein, dass die Zukunft nur durch ausreichende Bildung und Aufklärung nachhaltig gestaltet werden kann. 
Zum einen werden die meisten Menschen nur in den Feldern aufblühen, in welchen auch ihre persönlichen Interessen liegen – somit ist eine umfassende Information und Aufklärung in der Schule unbedingt nötig. Zum anderen schlägt es auf die Psyche, einen Lebensweg zu gehen, von dem man glaubt, die Gesellschaft würde eine*n dahin drängen. Es trägt auch zur Produktivität und Kreativität im Job bei, wenn man die Dinge tut, die einer/einem liegen. Und gerade Kreativität ist das, was den Menschen langfristig von seinen Schöpfungen (Roboter, Maschinen, …) unterscheiden wird. 
In einem Land ohne nennenswerte Rohstoffe und in einer Zeit, in der viele Tätigkeitsbereiche von Maschinen übernommen werden, sollte Bildung eine zentrale Säule unserer Gesellschaft sein. Neben unseren sozialen und kreativen Kompetenzen, sind unser Know-How und unsere Fähigkeit zur Reflexion die Fähigkeiten, die das kommende Jahrhundert zeichnen werden.



Wir laden euch hiermit ein, an der Diskussion am 27.04. um 18:30 Uhr im Joseph-Loschmidt Hörsaal (Währingerstraße 42, 1090 Wien) teilzunehmen.

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